ERCOLANO

Palermo, Ercolano, San Vincenzo -

 

 

 

Die zehnte Woche unserer Reise: Montag, 07. bis 14. Januar 2019 -

 

 

 

Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt, dann sind wir nach 70 Tagen in Italien schon über die Grenze nach Frankreich gefahren. Die zurückliegende Woche war dicht gefüllt mit intensiven Eindrücken und Begegnungen. In Frankreich wollen wir versuchen, sie zu verarbeiten.

 

Vor einer Woche wohnten wir noch in Palermo: sizilianische Volksmusik auf dem Vorplatz der Kathedrale, Straßenhunde, Konsum-Müll, Touristen in der Altstadt, Weißwein im Giardino Inglese unter Dschungelbuchbäumen, Plaudern mit Cesare, Malen und Kochen.

 

Am Mittwoch verließen wir die sizilianische Metropole, fuhren hinaus in arkadische Landschaften bis Messina (VOS ET IPSAM CIVITATE BENEDICAMUS) und setzten über zum europäischen Festland. Nachdem wir Calabria durchquert und die Basilicata gestreift hatten, erreichten wir unser Ziel in Campania. Unglaublich umfangreiche Starenschwärme zeichneten plastische Bilder in den roten Abendhimmel als wir den Golfo di Salerno erreichten, den Vesuvio, dann das Bauernhaus aus dem Jahr 1927 in Resina, wo uns Elisa, unsere Gastgeberin, mit frisch gebackenen Pizzette erwartete.

 

Inmitten einer schier endlosen urbanen Bebauung, die von Salerno im Osten bis weit über Napoli hinausreicht, erwachten wir am nächsten Morgen in unserem Refugium, einem weitläufigen Bauerngarten mit alten Bäumen: süße Orange, Olive, Zitrone, Nuss, Lorbeer und Feige. Später durchforschten wir viele Stunden lang die Ausgrabungsstätte des 79 nach Christus vom Vesuvio verschütteten Herculaneum; abends dann zeigte uns Elisa genau, wie sie ihre köstlichen Pizzette zubereitet. Am Folgetag begaben wir uns auf die Spuren der Scuola di Resina, einer Künstlerkolonie, auch "Republik von Portici" genannt, die hier, in Resina von 1863 bis 1874 bestand. Marco De Gregorio, Federico Rossano, Giuseppe De Nittis und Adriano Cecioni gelten als die Begründer dieser Gruppe. Die Kolonie wurde von einer repräsentativen Regierung angeführt, die zu jeder Frage als Mehrheit gewählt wurde. Der Status der Kolonie war sehr einfach: Schutz des Gefährten der Kunst immer, im Leben oder im Tod, wo immer er sich aufhält. Von ihrem Treffpunkt zwischen Resina und Portici aus machten sich die Künstler auf die Suche nach ländlichen Orten, Einblicken in das Unterholz, Ausschnitten aus dem Leben und Landschaften, vom Vesuvio bis zur Küste, bis zu den Golfinseln. Es ist das Spiel des Lichts, das die Gemälde der Scoula di Resina charakterisiert, das Licht, das durch die Bäume gefiltert den Boden in Flecken beleuchtet und ein Reflexionsspiel sowie eine warme Farbe erzeugt. Die Gruppe hinterließ uns ein geographisches und anthropologisches Panorama mit seiner Landschaft, seinen Bewohnern und seinen Bauernhäusern, das bis dahin vom Rest des Landes nicht bekannt war. In allen Werken finden wir den selben Realismus, in dem jedes minimale und scheinbar unbedeutende Detail mit meisterlicher Kunst und malerischer Sensibilität beschrieben wird: die blühenden Pflanzen auf den Dächern, die zum Trocknen aufgehängten Tücher, die hinter den zerstörten Mauern sprießenden Bäume, ein abgelegter Karren, der Schatten der Bäume auf dem Asphalt. Die Künstler suchten nach einer vollständigeren Wahrheit. Sie fingen in ihrer Realität nicht nur chromatische und leuchtende Töne ab, um sie zu reproduzieren, sondern erfassten auch die Atmosphäre der Orte, ihre heimliche Musik.

 

Leider ist heute nicht viel übrig von der damals gemalten Realität; die Bilder sind weit verstreut, einige hängen in Napolis Museen. Einen Eindruck von Teilen der Umgebung, in der sich die Künstler bewegten, bekommt man dennoch auf der miglia d’ora, der „goldenen Meile“, einer kilometerlangen Reihe alter Häuser und Palazzi, die noch immer die Straßen von Resina und Portici säumen sowie in den wenigen verbliebenen Gärten. Elisa erinnert sich noch gut an ihre Kindheit, in der Resina aus Wiesen, Feldern, Gärten und wenigen Häusern bestand.

 

Später, im Zug nach Salerno, dessen Kathedrale die Gebeine des Apostels Matthias beherbergt, durchfahren wir eine ununterbrochene Bebauung mit Häusern und Ruinen aus vier Jahrhunderten. Auch Napoli, das wir am Samstag mit der Metro erreichen, hinterlässt gemischte Eindrücke. Überall regiert der Kommerz mit den miglia d’ora unserer Tage: ausgedehnten Einkaufsmeilen wie in vielen anderen europäischen Großstädten auch. Gleichzeitig werden Gebäude aus unterschiedlichen Epochen trotz des Verfalls und der Vermüllung bewohnt, auch für andere Zwecke genutzt und so vor dem endgültigen Verfall bewahrt. In Resina/Ercolano lerne ich den Künstler Nello D’Antonio kennen. Er kombiniert sein berufliches Engagement als Architekt glücklich und fast ausschließlich mit seiner künstlerischen Berufung, wobei er der Bildhauerei und der christlichen Krippendarstellung Vorrang einräumt. Er betreibt eine Werkstatt für Restaurierung und religiöse Statuen. Alle seine Aktivitäten (Graphik, Plastik, Skulptur, Malerei) machen aus seinem Studienlabor einen echten Kunstplatz (www.librerianeapolis.it/component/tags/tag/nello-d-antonio). Mit Eindrücken von Nellos unglaublicher Virtuosität im Kopf verlassen wir Napoli, Campania, fahren durch Lazio (vorbei an der alten Ortschaft TUSCULUM, die meiner Künstlerkolonie zuhause in Murnau ihren Namen gab) in die Toscana, wo eine Reise in unsere persönliche Vergangenheit beginnt. Wir übernachten in San Vincenzo bei Livorno, dem frühesten von Uta erinnerten Urlaubsort und fahren weiter entlang der toskanischen Küste nach Ligurien, über die Seealpen nach Süd-Frankreich, das Land meiner Jugend-Erinnerungen.

 

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