SHQIPëRI 2

Tirana në Shqipëri, Albanien -

 

 

 

Die dreiundfünfzigste Woche unserer Reise: Montag, 04. bis Montag, 11. November 2019

 

 

 

In der zurückliegenden Woche bin ich als begleitender Musiker mit dem Fotografen Niko Kammerer, Uta Schnuppe-Strack und Michael Dietrich von Clowns ohne Grenzen Deutschland e. V. durch Albanien gereist. Morgen werden wir unsere letzten Auftritte absolvieren – in einer Institution, die sich um Personen kümmert, die aus Menschenhandel befreit werden konnten, sowie in einer Roma-Siedlung. Der Verein möchte mit seiner Arbeit „ (…) durch das Lachen und die Herzlichkeit der Clowns insbesondere Kinder aber auch Erwachsene an die schönen und leichten Momente im Leben erinnern und ihnen die positive Wirkung des Humors nahe bringen“ (clownsohnegrenzen.org).

 

Hier in Albanien haben wir Menschen besucht, die nicht viel zu lachen haben und denen das Lachen vergangen ist. Die meisten von ihnen leben in großer Armut und profitieren nicht von Hilfsprogrammen. Ein ausgebildeter Krankenpfleger verdient hier durchschnittlich 300 Euro im Monat – dieses Geld reicht gerade für das Überleben. Obwohl allerorten v.a. deutsche Pkw-Fabrikate der gehobenen Klassen herumfahren, gilt Albanien als ein „Armenhaus“ in Europa. Korruption durchzieht die staatliche, politische und wirtschaftliche Organisation; v.a. durch Drogenanbau und -schmuggel generieren kleine Personengruppen bedeutende Einnahmen. Die Gesellschaftsstrukturen sind geprägt von jahrhundertelanger Fremdherrschaft und Unterdrückung – lange Zeit durch das Osmanische Reich und von 1944 bis 1991 durch die kommunistische Diktatur. Stärker als alle Repressalien und Gesetze in der albanischen Geschichte und auch stärker als Religionen wirkt aber bis heute der Kanun auf die Clans, Familien und Einzelpersonen ein - regional unterschiedliche Sammlungen von Gesetzen und Vorschriften. Sie umschreiben das ganze Leben, von der Wiege bis zum Grab. Die wichtigsten Werte, die der Kanun kennt, sind Ehre und Gastfreundschaft.

 

„Die Regeln der Blutrache sind nur ein kleiner Teil des Kanun. Aber sie sind genauer beschrieben als jede andere Pflicht. Für besonders schwere Verbrechen, etwa die Tötung eines Priesters, eines Gastes, des eigenen Vaters, eines Verwandten aus Erbschaftsgründen, kennt der Kanun die Todesstrafe, vollstreckt von der Gemeinschaft. Seine Ehre muss ein Mann indes allein verteidigen. Sie wird ihm geraubt, wenn man ihn schlägt, bespuckt, bedroht, wenn man ihn vor anderen Männern der Lüge bezichtigt, wenn ihm ein anderer ein Darlehen nicht zurückzahlt, in sein Haus oder in seine Scheune einbricht, seine Frau verführt, vergewaltigt oder entführt oder ihn als Gastgeber beleidigt. Wer seine Ehre wiederhaben möchte, muss töten. Laut Kanun muss männliches Blut fließen (…). Neben dem Täter kann auch jeder seiner männlichen Verwandten Ziel der Rache werden, jeder erwachsene Mann, der sein Blut und seinen Namen teilt. Ein Junge gilt als erwachsen, sobald er ein Gewehr tragen kann. Frauen nimmt der Kanun von der Rache aus. Eine Frau erbt nicht und besitzt nichts, ist nicht mehr als eine Hülle, in der Ware transportiert wird, zum Gebären bestimmt“ (geo.de/wissen/21157-rtkl-blutrache-albanien-acht-kugeln-fuer-die-ehre).

 

Ein zentraler Begriff des Kanun ist die Besa. Sie „umfasst die Begriffe Friedenspakt, Allianz, Waffenstillstandsabkommen, gastfreundschaftliches Bündnis, Ehre des Hauses, Ehrenwort, Schwur, Sicherheitsgarantie, Loyalität, Treue und anderes mehr. Der Ehrenkodex führte auch dazu, dass während des Zweiten Weltkriegs um die 2000 Juden auf der Flucht vor den Nationalsozialisten in Albanien Zuflucht und Schutz fanden. Als Albanien 1943 von Deutschland besetzt wurde, weigerten sich die Albaner, Namenslisten der Juden ihren Besetzern auszuhändigen. Im Namen der Besa brachten viele in der Bevölkerung nicht nur Juden bei sich unter, sondern besorgten ihnen auch gefälschte Pässe. Fast alle Juden in Albanien haben den Krieg überlebt. Albanien ist das einzige von den Deutschen besetzte Land Europas, das nach dem Holocaust mehr Juden hatte als zuvor. Daneben waren aber auch ganze Personengruppen wie Frauen, Kinder oder Priester vor Verfolgung geschützt“ (wikipedia).

 

In einer Zeit, in der Ängste und Vorurteile gepflegt werden, setzen wir mit Clowns ohne Grenzen e.V. ein Zeichen für Toleranz, Neugier und Mitmenschlichkeit. In Albanien leben, lieben und lachen die Menschen genauso wie wir.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0