Rigklia 18

 

Rígklia, Messinías, Dytiki Máni, Elláda

 

 

 

Die zwanzigste Woche unserer Reise: Donnerstag, 24. Februar bis Mittwoch, 02. März 2022

 

 

 

Vor einer Woche haben russische Truppen damit begonnen, die Ukraine anzugreifen. Nach 21 Jahren hält der Krieg nun wieder Einzug in Europa. Die friedliche Zeit ging schnell vorbei. Bedingt durch meine psychotherapeutische Arbeit mit den Kindern geflüchteter Familien habe ich die 10 Jahre der Jugoslawienkriege damals intensiv miterlebt. Heute fallen Bomben unweit der Grenzen zum Land meiner Väter und die Erinnerung bricht über mich herein. Hinzu kommen biographische Bezüge, die persönlichen Erinnerungen meiner Vorfahren an Krieg und Vertreibung aus Oberschlesien. Aus dem Mund meiner vor 95 Jahren geborene Tante Rosemarie hatte ich zudem von einem unserer Ahnen erfahren, dem „Feuerwerker“. Nachdem er eine Zeit lang für das englische und französische Militär gearbeitet hatte, wechselte er die Seiten und verdingte sich bis zum Jahr 1814 für die russische Armee, um einen Flug-Ballon zu entwickeln. Das mit Bomben und Raketen bestückte Kampfluftschiff sollte zur Verteidigung gegen Napoléons Grande Armée eingesetzt werden.

 

Weit entfernt vom Grauen der Kriege, haben wir uns in der zurückliegenden Woche für Gastfreundschaft und Völkerverständigung entschieden. Neben dem Zusammenlaben mit unseren albanischen, amerikanischen, südafrikanischen, englischen und griechischen Nachbarn und Freunden haben wir wieder einige Stunden in die Vorbereitung der Gründung eines französischen Vereins investiert. Die bisher informelle KünstlerInnengruppe Artists in Masks soll einen rechtlichen Status erhalten. Bis zum Sonntag blieb unser Clown- und Künstlerfreund Jan im Haus und gab am selben Tag Utas Mutter die Klinke in die Hand. Sich auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und Vorlieben anderer Menschen einzustellen, ist eine gute Übung in Toleranz und Flexibilität. Als Nichtraucher und tendenzieller Konsumverweigerer habe ich Jan bereitwillig Raum und Luft eingeräumt und ihn täglich mit Aschenbecher und frischem Kaffeewasser aus dem Brunnen versorgt. Ich habe es sehr genossen, Jan auf dem Balkon zeichnen zu sehen, eine Art, Eindrücke zu verarbeiten, die mir vertraut ist. Und welch ein Glück, Utas Mutter im Haus zu wissen! Sie scheint alle Tugenden in sich zu sammeln, die ihre Tochter auszeichnen, dazu eine starke Neigung zur Ökonomie. Mit dem ihr eigenen, manchmal an Trotz grenzender Optimismus, ist sie zudem in der Lage, auch schwierigen Situationen noch einen Funken Sinn abzugewinnen, und sei es die Aufforderung zum Kampf. Sie lehrt uns zu handeln, statt zu resignieren.

 

So hilft sie uns auch mit Cocos verändertem Verhalten zurecht zu kommen. Unser Hund, bislang nach Labradorart stets auf der Suche nach Essbarem, verschmäht neuerdings sein Futter. Die Reduzierung ihres Körpergewichtes, auch ein medizinisches Ziel, rückt damit in Reichweite. Allerdings braucht es nun Geduld und Findigkeit, um Coco die sieben Tabletten zu verabreichen, die sie täglich schlucken soll. Glücklicherweise sind ihre Blutwerte in Ordnung – ab morgen darf sie dann acht Tabletten schlucken, die therapeutische Dosis der Chemotherapie.

 

Zwischen Jans Abflug und Moni-Omis Ankunft blieben uns am Sonntag gute fünf Stunden Zeit, die wir für einen Ausflug auf den westlichen Finger der Peloponnes nutzten. Seine Silhouette ist uns mittlerweile gut vertraut, bildet sie doch den nordwestlichen Abschluss unseres Balkon-Panoramas: beginnend mit einem wahrhaftigen Berg, in der Form einer Gaußschen Normalverteilung den Abschluss der messenischen Ebene markierend, über die Wellen einer dunkel baumbestandener Linie, die dem Kap in sich stetig abflachenden Hügeln entgegenstrebt, bis hin zur vorgelagerten Felseninsel, hinter der noch im Oktober die Sonne versank. Trotz der räumliche Nähe zur Máni stellten sich völlig neue Eindrücke ein – von einem uralten Kulturland, das dreigeteilt vor der lybischen Küste liegt: Landwirtschaft, hemmungsloser Tourismus und schroffe, wilde Natur.

 

Die grundlegenden Rhythmen liefen weiter wie bisher: tägliches Pflücken und Auspressen von Orangen, Wasserholen am öffentlichen Brunnen, Fische ausnehmen und Kochen, Hundespaziergänge, Schreiben, Zeichnen und Malen, Videokonferenzen, Weiterarbeiten an der Vereinsgründung von Artists in Masks und Korrespondenzen zum Organisieren der Arbeiten, die mir zum Broterwerb dienen. Ausgefüllte und glückliche Tage.

 

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