Rigklia 20

 

Rígklia, Messinías, Dytiki Máni, Elláda

 

 

 

Die zweiundzwanzigste Woche unserer Reise: Donnerstag, 10. bis Mittwoch, 16. März 2022

 

 

 

Vor einer Woche noch nährten Hoffnungen unser Handeln, denn Coco war weder Anhängsel noch „Haustier“, sondern eine treue Freundin, Lehrerin im Lieben und Trösten und Gefährtin inmitten unseres Treibens und auf all unseren Reisen. Am vergangenen Samstag hat sie kurz vor fünf Uhr morgens in unseren Armen ihre letzte Kerze ausgeblasen. Wir sind sehr traurig und es bereitet mir Mühe, Worte zu finden.

 

Unruhige Nächte und sorgenvolle Tage liegen hinter uns. Coco hatte bald keinen Appetit mehr, verweigerte jede Nahrung, auch Wasser; Medikamente mussten wir gemörsert in die Schleimhaut ihres Kiefers einreiben. In ihren letzten Tagen suchte sie Kühle, bevorzugte Steinböden und Blumenbeete. Dabei vermied sie stets, den Kopf abzulegen, wartet in Sphinx-Haltung so lange, bis die Schnauze vor Müdigkeit zu Boden gesunken war. Ihr Bauchraum beherbergte neben Gastritis und Magengeschwüren auch eine gehörige Menge Gase. Das Vermeiden von Futter, das Aufsuchen kühlender Plätze und die Schonhaltung dienten der Schmerzlinderung.

 

Noch am vergangenen Donnerstag schrieb ich in mein Tagebuch: „Wieder erhalten wir für Coco zusätzliche Medikamente und die Empfehlung, für Bewegung und reichlich Trinkwasser zu sorgen. Während des Spaziergangs schleicht sie langsam dahin, frisst hin und wieder Gras; Uta sammelt rote Anemonenblüten. Zuhause liegt Coco kurze Zeit in ihrer Sphinx-Haltung, senkt aber bald den Kopf und schläft ein. Ich glaube, der Tod ist nicht mehr weit. Uta und ich investieren heute gut sechs Stunden in Malerei, Coco immer im Blick, so lange, bis unsere Freundin in luzider Gestalt auf meinem Bild erscheint. Ein durchscheinender Engel, der zum Reich der griechischen Götter aufschwebt. Auch wir verspüren keinen Appetit, schneiden am Abend dennoch Käse zum Wein und zeichnen auf die Rückseite eines Briefes einen Cadavre Exquis.“ Am Freitag, nach einer weiteren schlechten Nacht für Coco, hat die Tierärztin ein Schmerzmittel injiziert. Coco wirkte schwach, taumelte, konnte keine Treppen mehr steigen.

 

Am gleichen Tag kamen unsere französischen Freunde Sylvie und Eric an. Als sie das Haus betraten, erhob sich unsere Patientin kurz von ihren Kissen und wedelte zum letzten Mal zaghaft mit dem Schwanz. Wir freuten uns herzlich über beides, Cocos Lebenszeichen und den lieben Besuch. Auch David kam später dazu; zum gemeinsamen Essen trugen wir Coco in das Turmzimmer.  Glücklicherweise stellte uns David ein Drucksprühgerät zur Verfügung, eine dicke Spritze, mit der wir dem Hündchen Wasser direkt in den Rachen träufeln konnten. Auf diese Weise nahm sie ein wenig an unserer lukullischen Geselligkeit teil, immer einen Menschen neben sich, der sie streichelte.

 

Zweimal noch trugen wir Coco in den Garten, um ihr Erleichterung zu verschaffen, dann schlug Uta vor, sie zu uns ins Bett zu heben, „vielleicht ist es das letzte Mal“. Der Geruch des Todes, den ich mittlerweile kenne, begann den Raum zu füllen. Den röchelnden Leib zwischen unseren Körpern wachten wir neben Coco, bis ihr Atmen lauter, schwerer wurde. Kurz vor fünf Uhr träufelte Uta noch einmal Wasser auf ihre Lippen, dann versagten Herz und Lungen. Erleichtert hielten wir unser geliebtes Tier in den Armen. Krampfartig kam Erlösung über meinen verspannten Körper, der Cocos reglosen Rücken schüttelnd umschloss. Dann betteten wir sie auf Kissen und schmücken den braun schimmernden Pelz mit roten Anemonenblüten.

 

In dieser schwierigen Zeit waren uns Eric und Sylvie eine große Hilfe. Auch David war zur richtigen Zeit zur Stelle; gemeinsam begruben wir die gute Freundin.

 

Eric lebt in Rhythmen, die meinen ähneln. Als ich um halb Sechs einen ersten Kaffee zubereitete, kam er schon ins Turmsimmer heraufgestiegen und begann am Computer zu arbeiten. Bald erwachten auch die Vögel im Olivenhain, markierten emsig ihrer Reviere – pfiffen Arien, vielstimmig vor einer bedrohlichen Wolkenkulisse, die die Schwärze der Nacht nach Westen schob.

 

Sylvie und Eric wurden nicht müde, Uta und mich in Gespräche einzubinden, uns zu beschäftigen, abzulenken vom Taumel zwischen dem Trost, den ich über das Ende des Leidensweges verspüre und einer Trauer, die wie eine geheime Körperflüssigkeit in meinen Blutbahnen aufsteigt und bald in allen Gliedern pulsiert. David, der gute Freund, verließ das Haus am Samstag erst, als ich mich wieder einsatzfähig ins Atelier begab, um letzte Hand an das dritte „èna leptó“-Bild anzulegen. Eric begleitete mich dabei mit der Fotokamera und drehte einen kurzen Film für eine geplante Videoinstallation.

 

Wie gut, dass bis heute Freunde im Haus waren, sie schenkten uns Ablenkung und Entspannung. Und wir genehmigten uns ein paar Tage Urlaub. Gemeinsam besuchten wir Kirchen, historische Stätten, Restaurants und besonders schöne Aussichtspunkte in der Äußeren Máni. Gleichzeitig aber bleibt die Trauer allgegenwärtig, nimmt Geräusche, Gerüche, Handlungsabläufe zum Anlass, sich immer neu zu entfalten, legt sich in dunklen Tüchern über Gegenstände in Haus und Garten.

 

Uta pflückt neue Blumen; ich lege den alten Strauß auf Cocos Grab. Seit ihrem Tod habe ich noch nicht in meinen Arbeitsrhythmus zurückgefunden.

 

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