POLSKA 1

Zawada/Gmina Myslenice in der Woiwodschaft Malopolska, Polska

 

 

 

Die vierundvierzigste Woche unserer Reise: Montag, 02. bis Montag, 09. September 2019 –

 

 

 

Vor einer Woche arbeitete ich noch in der Provinz Utrecht an meinem dritten Bild der Serie „Weite Sicht“. Die starken Gemälde des Stichting Singer Museums in Laren im Kopf hatte ich nur Augen für Wolken, Pflanzen und Wasser.

 

Am Mittwoch fuhren wir in Richtung Deutschland. Bei Arnhem fand ich die Grüntöne der Wiese, der Büsche, der Bäume im Garten der dortigen Jugendherberge wieder, in dem ich vor 40 Jahren morgens meditierte. Im Laufe der Fahrt durch das Ruhrgebiet dann mischten sich die eigenen Erinnerungen zunehmend mit Geschichten, von denen ich nur gehört hatte: in Schwerte hatte ich als Schuljunge meine später unter tragischen Umständen verstorbene Cousine Gabi getroffen – sie hütete damals französische Ausgaben der Asterix-Comics wie einen Schatz. Wenige Kilometer weiter süd-östlich liegt mein Großvater Anton begraben. Einige Jahre nach Kriegsende war er nach Iserlohn gekommen und starb dort kurz vor meiner Geburt. Mein Vater war ihm 1955 gefolgt, und hatte in der Nähe eine Lehrstelle als Elektriker gefunden.

 

Wir aber setzten unsere Reise in Richtung Osten fort bis über die Grenze Hessens hinweg zum Fluss Schwalm. Hier suchten wir nach Spuren der „ältesten“ Künstlerkolonie Europas, die in dem noch immer malerisch gelegenen Dorf Willingshausen entstanden sein soll. Als Geburtsstunde der Künstlerkolonie wird hier das Zusammentreffen der Maler Gerhardt von Reutern und Ludwig Emil Grimm betrachtet. In den seitdem vergangenen 200 Jahren haben immer wieder zahlreiche Maler und Malerinnen den Weg an die Schwalm gefunden. Hochkarätige Gemälde aus den ersten 100 Jahren machte uns Frau Ditter im Rahmen ihrer Führung durch das Malerstübchen zugänglich. In der benachbarten Kunsthalle werden außer den im Rahmen des Willingshäuser Künstlerstipendiums entstandenen Werken ganzjährig wechselnde Ausstellungen gezeigt - organisiert von der Vereinigung Malerstübchen und der Willingshausen-Touristik-Betriebsgesellschaft mbH (WTB). In Willingshausen fanden wir eine höchst interessante Mischung aus historischem Erbe und brandheißem künstlerischem Schaffen. Auf dem Hof zwischen dem Malerstübchen im Gerhardt-von-Reutern-Haus und der Kunsthalle wurden wir von Paul Dippel (WTB) empfangen. In den nun folgenden Stunden hat er uns bei frischem Kaffee umfassend über das gerade beendete Malersymposium, den geplanten Katalog, kreative Kurse, vergangene und künftige Ausstellungen und weitere geplante Projekte informiert sowie in fesselnde Diskussionen verwickelt. Von Paul Dippel lernten wir außerdem, dass die Schwälmer Frauen unter ihrem zur traditionellen Tracht gehörenden Rotkäppchen einen Schnatz tragen (malerkolonie.de/).

 

Einige hundert Kilometer weiter östlich verweilten wir von Freitag bis Sonntag in Dresden. Wir übernachteten im alten Wasserwerk des Stadtteils Trachau, in kurzer Entfernung zur Künstlerkolonie Hellerau. Natürlich durchwanderten wir auch das Dresdner Stadtzentrum, gerieten aber zum dort allgegenwärtigen Konsumrummel erst durch eine Schifffahrt auf der Elbe in die nötige Distanz, um die architektonischen Wunder würdigen zu können. Letztendlich fühlten wir uns dann wohler in der lebendigen Dresdner Neustadt mit ihren Cafés, kleinen Geschäften und Kunsthöfen.

 

Auf dem Weg zur Künstlerkolonie Hellerau fanden wir in Radebeul zum innovativen Weingut Karl Friedrich Aust, das uns mit der Frische einer Jahrhunderte alten sächsischen Weinanbau-Tradition überraschte. Nach dem Tod seines Vaters, des früheren Zwinger-Baumeisters, hat Karl Friedrich Aust (Steinmetz und Bildhauer) gemeinsam mit seiner Mutter (Restauratorin) und seiner Schwester (Grafikerin und Malerin) das Weingut übernommen und weitergeführt. Im historischem Anbau des Weingutes betreibt Friederike Curling-Aust zusammen mit Ihrem Mann Brian Curling ein Atelier und eine Malschule (friederikecurling-aust.de).

 

Die Künstlerkolonie Hellerau wurde ab 1909 als erste deutsche Gartenstadt nach den Ideen des britischen Stadtplaners Ebenezer Howard errichtet. Pate standen dabei die Prinzipien der Lebensreformbewegung, die sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt hatte: Kritik an der Industrialisierung, an Materialismus und Urbanisierung. In der konkreten Umsetzung kamen die Vorgaben des Siedlungsgründers, des Fabrikanten Karl Schmidt, zum Tragen: eine Einheit von Wohnen und Arbeit sowie Kultur und Bildung. Die Gartenstadt entstand parallel mit der neuen Niederlassung der seit 1898 betriebenen „Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst“. In Hellerau lebten und arbeiteten in den Folgejahren viele Künstler und Kunsthandwerker – jäh unterbrochen von der menschenverachtenden Ausbeutung von Zwangsarbeitern während des Dritten Reiches. Die Fabrik hielt auch während der sozialistischen Diktatur den Betrieb aufrecht und firmiert heute unter dem Namen „Deutsche Werkstätten Hellerau“. Die Siedlung blieb immer bewohnt; heute noch kann man eine große Anzahl der als Kulturdenkmäler eingestuften Gebäude sehen. Und es wird wieder Kunst gemacht. Im Herzen der historischen Künstlerkolonie Hellerau erblüht heute ein „Europäisches Zentrum der Künste/European Centre for the Arts“ (hellerau.org), eine Bühne der sächsischen Landeshauptstadt Dresden, die mit Konzert, Theater, Tanz, Vortrag, Konferenz und Darstellender Kunst aufwartet.

 

Südlich von Dresden, im Dörfchen Goppeln, hatte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Künstlerkolonie formiert, die der Dresdner Sezession 1893 nahestand (Max Klinger gehörte auch zu ihren Sympathisanten). Wie in den meisten Künstlerkolonien dieser Zeit, suchten die Maler nach Wegen aus der etablierten akademischen Kunst und begannen damit, verstärkt in der Natur zu malen. Ab 1907 zeichneten auch Ernst Ludwig Kirchner und Max Pechstein – beide Mitglieder der Künstlergruppe „Die Brücke“ - in Goppeln. Wir fanden im Ort leider kaum Spuren der Künstlerkolonie. Auf dem Rückweg zum Trachauer Wasserwerk besuchten wir die von Gret Palucca begründete Tanzschule (palucca.eu). Mit ihr, die einige Jahre in der Gartenstadt Hellerau wohnte, verbindet uns eine große Liebe zur Insel Hiddensee.

 

Gestern überquerten wir die deutsch-polnische Grenze und berührten im Laufe des Tages auch die Woiwodschaft Opole, in deren Gebiet meine vaterseitigen Vorfahren lebten. Wir fuhren weiter nach Osten bis in das Dorf Zawada vor den Toren von Kraków. Hier wollen wir bleiben, bis wir am 26. und 27. September am General Meeting von euroArt in Kazimierz Dolny teilnehmen.

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