POLSKA 2

Zawada/Gmina Myslenice, województwo małopolskie, Polska

 

 

 

Die fünfundvierzigste Woche unserer Reise: Montag, 09. bis Montag, 16. September 2019 –

 

 

 

Durch die Fensterscheiben des traditionellen galizischen Holzhauses überblicken wir die Hügelketten der Mittleren Beskiden, einem Gebirgszug der Äußeren Westkarpaten und Ostkarpaten. Während des morgendlichen Hundespazierganges begegneten wir heute oberhalb des Hauses einem Mann, der mit Hilfe zweier Pferde sein Feld pflügte.

 

Jeden Vormittag proben wir hier für die in den nächsten Monaten geplanten Clown-Shows in Frankreich und Albanien. Während ich als Musiker nur einen kleinen Teil dazu beisteuere, investiert Uta täglich mehrere Stunden, auch an Nachmittagen. Ich nehme mir Zeit zum Weiterentwickeln meiner Malerei, suche nach einer Verbindung zwischen zwei Motiven, an denen ich seit Jahren übe: Landschaften und vegetabile Menschen.

 

Wie bereits in der vergangenen Woche erlebe ich starke biografische Bezüge - abends sinkt die Sonne hinunter in die oberschlesischen Wälder. Meine Großmutter der Vaterseite stammte aus dem schlesischen Riesengebirge, die Familie ihres Ehemannes aber aus weiter östlich gelegenen Gebieten. Als Kind hörte ich meine Tanten von russischen Vorfahren erzählen.

 

Hier in Polen, gezeichnet von mehr als 1000 Jahren gefült mit Ressentiments, nutze ich die Gelegenheit, mich wieder mit Rassismus, vor allem aber dem Antisemitismus meiner Großeltern der Mutter-Seite auseinanderzusetzen. Während meiner Kindheit, in der ich oft und über lange Zeiträume bei ihnen wohnte, hatten sich beide bemüht, mir beizubringen, dass Polen, Juden und viele andere Menschen „minderwertig“ seien. Gemeinsam mit Uta vertiefe ich mich heute im galizischen Haus in Augenzeugenberichte und Essays über die polnische Geschichte – insbesondere die der jüdischen Bewohner. Wir besuchen Krakow an einem Sabbat und lassen uns vor einem alten Gebetshaus von einem gläubigen Juden seine Sichtweise erklären: ein Plädoyer für den Erhalt von Traditionen, Toleranz und Völkerverständigung. Seine ukrainisch-österreichische Frau übersetzt. Uta schildert in ihrem Blog noch viele weitere Eindrücke (schnuppenstaub.de).

 

Polen wurde im Laufe seiner Geschichte unzählige Male zum Spielball interner und externer Machtinteressen – über Jahrhunderte hinweg sogar als Staatengebilde von den offiziellen Landkarten getilgt. Erst vor 101 Jahren wurde der Teil der historischen Landschaft Galiziens, in der wir gerade wohnen, aus Österreich-Ungarn gelöst und der wieder unabhängigen Republik Polen zuerkannt. Ab 1939 wurde das Land von deutschen und sowjetischen Truppen besetzt und seine Bewohner einem unvorstellbaren Terror ausgesetzt. Nach der Flucht der deutschen Truppen blieben die sowjetischen Besatzer im Land; von 1952 bis 1989 stand Polen als Volksrepublik unter sowjetischem Einfluss. Während unseres Besuchs in Krakow spüren wir Ressentiments gegen die ehemaligen sowjetischen Besatzer. So erklärt unser Führer durch das jüdische Stadtviertel und das Ghetto, die Rote Armee habe Auschwitz nicht befreit, sondern die dort vorgefundenen Häftlinge erschossen.

 

Seit 2004 ist Polen Mitglied der Europäischen Union. Als Reisender bin ich wiederholt in diesem Land gewesen – vor einigen Jahren mit meinem Sohn Felix. Er urteilte damals „hier sieht es deutscher aus als in Deutschland“. Wir erkennen wieder, wie privilegiert wir leben. Wir dürfen uns frei bewegen, werden nicht schikaniert und verfolgt, haben Zugang zu gesunder Nahrung, medizinischer Versorgung und Bildung. Diese Privilegien haben wir uns nicht verdient, wir sind zufällig in einem freien Land geboren worden. Aus dieser besonderen Lage ergibt sich eine Verpflichtung: wir kämpfen für Toleranz und gleiche Chancen für alle Menschen auf diesem Planeten.

 

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