SHQIPëRI 1

Tirana në Shqipëri, Albanien -

 

 

 

Die zweiundfünfzigste Woche unserer Reise: Montag, 28. Oktober bis Montag, 04. November 2019

 

 

 

Morgen wird ein Jahr seit dem Beginn unserer Reise durch Europa vergangen sein – die letzte Woche erscheint mir wie ein geraffter Lauf durch diesen doch so ausgedehnten Zeitraum.

 

Während Uta am Montag ihre Mutter und unsere Freundin Heidi nach Strasbourg zum Zug brachte, verpackte ich unser Hab und Gut wieder einmal reisefertig und fügte noch den größten Teil der Bilder hinzu, die Uta in ihrer Ausstellung gezeigt hatte. Das Auto belud ich früh am nächsten Morgen nach einer schlaflosen Nacht (unser Hund Coco litt an Verdauungsproblemen). Bevor wir uns auf den Weg machten, verabschiedeten wir uns schweren Herzens von Joëlle und Christophe, mit denen wir drei Wochen lang intensiv zusammengearbeitet hatten.

 

Im Regen und bei stetig sinkenden Temperaturen bis zu vier Grad (im Plus-Bereich) bewegten wir uns auf den Autobahnen über den Rhein, entlang des Schwarzwaldes, über die Schwäbische Alb bis ins Bayerische Oberland. Hier ließen wir Waschmaschine und Trockner für uns arbeiten und erledigten bis in den späten Abend hinein Korrespondenzen. Clara und Michi, die unser Haus für zwei Jahre gemietet haben, schenkten uns diese kurze Zwischenetappe in der Heimat.

 

Am Mittwoch brachen wir nach einem (fast) eiskalten Hundespaziergang nach Albanien auf. Da wir zu spät erkannt hatten, dass für eine Durchreise der Balkan-Staaten für Coco Unterlagen fehlen, wählten wir die Route über Italien. Im Trentino gönnten wir uns den ersten Kaffee und genossen trotz anhaltenden Regens die milden Temperaturen. Am Abend erreichten wir Bologna, die Stadt Giorgio Morandis und Lucio Dallas. Wir logierten im Il Villino, einem Gästehaus der Cooperativa Sociale Nazareno Work, die sich um Menschen mit körperlichen und psychischen Problemen kümmert. Hier finden auch regelmäßig Ausstellungen von Kunstwerken der Patienten statt (ilvillinobologna.com). Am nächsten Tag brachten wir Coco zum Ospedale Veterinario Giardini Margherita, wo eine Tollwutantikörperbestimmung durchgeführt und ein amtstierärztliches Zeugnis ausgestellt wurde. Beides werden wir für eine Wiedereinreise in die EU nach dem Aufenthalt in Albanien benötigen. Zwischendurch fanden wir noch Zeit, das Stadtzentrum von Bologna zu begehen. Wir goutierten Säfte und Patisserien im Palazzo Fava und speisten vorzüglich in der kleinen Trattoria Mariposa, Via Bertiera 12. Obwohl wir die Autostrada Adriatica in Richtung Süden bereits vor 16.00 Uhr erreichten, kamen wir erst gegen Mitternacht an unserem Etappenziel in der Region Molise an. Wir hatten tatsächlich übersehen, dass Allerheiligen auch in Italien als Feiertag begangen wird und sich somit viele Menschen auf den Weg in ein verlängertes Wochenende im Süden machen würden.

 

Am nächsten Morgen erwachten wir am Rande eines ausgedehnten Olivenhaines. Nach einem kurzen Spaziergang durch den regenwarmen Paradiesgarten voller Feigen-, Zitrusbäume und würziger Kräuter, kredenzten unsere Gastgeber Antonio und Claudio ein bukolisches Frühstück. Wir sind an einem besonderen Ort gelandet – umzingelt von unansehnlichen Dörfern und Städten - allerorts lieblos hingebauten Betonstrukturen, oft in ruinösen oder unfertigen Zuständen. Zusätzlich garniert mit den vielgestaltigen Abfällen unserer Konsumgesellschaft befördert diese verbaute Landschaft mein Abstraktionsvermögen. Schließlich blende ich die „Zivilisation“ aus und sehe nur noch das Schöne: die süditalienischen Hügelketten, Berge und das Meer. Während der Wartezeit auf die Fähre, die uns von Brindisi, Puglia nach Vlorë in Albanien bringen wird, fokussiere ich auf Eis, Kaffee und ein gutes Abendessen im Ristorante Il Trullo.

 

Ab 21.30 Uhr warten wir in einem Ruinenviertel aus dem letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts auf die St. Damian, auf die wir schließlich gegen 23.00 Uhr auffahren dürfen. Kurze Zeit später folgen wir den wenigen Passagieren und erreichen die Rezeption. Wir hatten bei Direct Ferries eine Außenkabine gebucht, beim Eintauschen der Buchungsbestätigung am Hafen von Brindisi aber eine Fahrkarte mit dem für Reisende nicht lesbaren Code für eine Innenkabine erhalten. Die gewissenhafte Dame an der Rezeption überreicht uns folgerichtig gegen Vorlage unseres Fahrscheines den Schlüssel zu einer Kabine im Bauch des Schiffes, wo wir die Nacht verbringen. In der Enge der stickigen Zelle, für die Dauer von sieben Stunden kräftig geschüttelt und gewiegt, speise ich meine Zuversicht mit Gedankenspielen („Wie mag sich der Jona des Alten Testamentes gefühlt haben, nachdem ihn der große Fisch wieder ausgespuckt hat?“ – „Über welche Zeiträume hinweg hat sich sein Befreiungsakt hingezogen?“).

 

Die St. Damian erreichte Vlorë am Samstag pünktlich gegen sieben Uhr morgens. Nach zwei Stunden hatten wir die Grenzkontrollen hinter uns gebracht und durften endlich albanischen Boden betreten. Dabei kamen uns die ersten Eindrücke durchaus bekannt vor: Landschaft, Bebauung und Klima schienen uns wie ein ostadriatisches Gegenstück zu Italien. Schritt für Schritt aber begannen wir mit dem Entdecken des Landes, seiner Menschen und ihrer Kultur. Im urbanen Bereich fällt besonders das weitgehende Fehlen historischer Gebäude ins Auge – und die Geschäftigkeit der Menschen zwischen Beton, aufgebrochenen Straßen und Konsummüll. Überall in Durrës, Tiranë und Vlorë stoßen wir auf belebte Cafes, unzählige kleine Geschäfte und Straßenverkäufer. Ohrenfällig ist natürlich die Sprache, von der wir (noch) kein Wort verstehen.

 

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