Oberhausen in Oberbayern, Deutschland
Die erste Woche unserer Reise: Donnerstag, 14. bis Mittwoch, 20. Oktober 2021
Der starke Regen der letzten Tage ist versiegt – das endgültige Beladen der „Zibebe“, unseres bewährten roten Kastenwagens, gestaltet sich nun endlich trocken. Zwischen dem Stopfen von letzten Frachtlöchern mit Socken und Handtüchern empfange ich Hannes, unseren heizungskundigen Nachbarn, der im Keller den Füllstand des Öltanks überprüft. Gemeinsam mit seiner Frau Bernadette wird er während unserer Abwesenheit ein Auge auf das Haus haben. Uta silikoniert in der Zwischenzeit die Ritzen um das Spülbecken im Studio, eine Arbeit, die nach der letzten Vermietung notwendig geworden war. In wenigen Tagen wird eine neue Mieterin einziehen und unser Haus für die nächsten Monate bewohnen.
Am späten Vormittag rollen wir dann aus der Einfahrt, geben in Uffing einen Koffer als Postfracht nach Griechenland auf, der nicht mehr ins Auto passte, und durchkreuzen wohlgelaunt das schon herbstlich geschmückte Murnauer Moos. Bis kurz vor Sterzing kommen wir gut voran, dann stecken wir immer wieder in Staus fest. In Klausen halten wir für einen nostalgischen Hunde-Spaziergang entlang der Museumsmauer. Für einen Besuch bei Lara Toffoli, der befreundeten Kunsthistorikerin, reicht die Zeit nicht, denn wir möchten noch vor Sonnenuntergang Faenza erreichen. Die uralte Stadt, nach der über Jahrhunderte glasiertes Steinzeug europäischen Ursprungs „Fayencen“ genannt wurde, liegt zwischen Bologna und Ravenna. Dort verzehren wir am Abend im Fremdenzimmer inmitten weitläufiger Obstplantagen die mitgebrachten italienischen Vorspeisen.
Der Gockelhahn aus dem benachbarten Gehöft kräht mich viele Male wach, bis auch unser Hund Coco kurz vor halb Sieben auf sich aufmerksam macht. Wie mit dem Lineal gezogen verbindet der Weg, den wir draußen beschreiten, in Nord-Süd-Richtung Spalier stehende endlos aufeinanderfolgende Gruppen von Apfelbäumen. Später verspeisen wir die Reste vom Vorabend zu einem guten Kaffee, plaudern noch 20 Minuten in der Waschküche mit den liebenswürdigen Vermietern und machen uns wieder auf den Weg.
Zunächst verwöhnt uns ein blauer Himmel mit Verheißung und erweckt im Zusammenspiel mit dem Adriatischen Meer, dessen Küste wir nach Süden hin folgen, romantische Assoziationen. Ab Abruzzo mischen sich Wolken hinein. Bis zum Nachmittag deckelt das graue Wetter das Land und bleibt uns auch auf der schon apulischen Halbinsel Gargano treu. Hier übernachten wir in einem mehrhundertjährigen Turm inmitten einer Welt, die nurmehr aus Olivenbäumen zu bestehen scheint. Inmitten des Abenteuers einer Zeitvergessenheit, das sich beim Wandern durch diese Dendritenlandschaft einstellt, verwöhnt uns die „Mama“ des Hauses mit einem rein vegetarischen Mehrgängemenü, zubereitet nach regionalen Geheim-Rezepten, aus denen sie auch noch am nächsten Morgen beim Auftischen des Frühstücks schöpft.
Es ist Samstag. Francesca di Ponzio, die Kuratorin der letzten Ausstellung der paneuropäischen KünstlerInnengruppe „Artists in Masks“, die wir letztes Jahr mit unserem französischen Freund Eric Schaftlein ins Leben gerufen haben, erwartet uns in Taranto. Am Abend stoßen dann einige der italienischen Mitglieder der Gruppe dazu: der Plastiker Piero Nardelli, der scheinbar surrealistische Maler „Tonello“ (Schiro) und DES (Giuseppe de Simone), mit dem ich gemeinsam an einem Bild arbeite. Die Planungen, Träumereien und Diskussionen des langen Abends setzen sich mit Francesca noch am Frühstückstisch fort, bis wir am nächsten Tag um neun Uhr abreisen, um in Brindisi rechtzeitig an die Fähre nach Griechenland zu gelangen. Die Überfahrt gestaltet sich kurzweilig, die sich anschließende Übernachtung im Hotel „Thursty Dog“ in Igoumenitsa bequem und komfortabel.
Am Montag erreichen wir nach einer Panoramafahrt durch Epirus, Mittelgriechenland und dem größten Teil der Peloponnes, unser Ziel auf der Mani, dem zweiten Finger der großen Insel, den sie tief ins Ägäische Meer hineinstreckt. Hier sind wir mit der Malerin Lee O’Connor verabredet – auch eine Mitstreiterin der „Artist in Masks“. Das letzte der stürmischen Unwetter, die die Mani seit gut drei Wochen heimsuchen, überschwemmt dann binnen weniger Minuten Straßen und Plätze. Nass bis auf die Haut fliehen wir gemeinsam mit Lee ins nächste Restaurant und später in das von ihr vermittelte Fremdenzimmer.
Am nächsten Tag sieht die Welt schon anders aus: Badewetter. Wir frühstücken am Strand, treffen alte Freunde und setzen am Abend den ersten Fuß in Theonis Haus im Garten des Panteleimonas. Hier werden wir die meiste Zeit der nächsten Monate wohnen. Zunächst aber wird geputzt – einen ganzen Tag lang, denn Theoni hat ihr Leben der Malerei gewidmet. Neben dieser Passion, ja Obsession, blieb ihr keine Zeit zum Ordnen, Räumen oder Säubern. Immerhin: bis auf die Waschmaschine, einen Berg gefüllter Müllsäcke an der Straßenecke, einem Jagdgewehr und einem monströsen verschlossenen Tresor hat sie uns keine größeren Objekte hinterlassen.
Rígklia, Messinías, Dytiki Máni, Elláda
Die zweite Woche unserer Reise: Donnerstag, 21. bis Mittwoch, 27. Oktober 2021
Die Tage strecken sich dahin zwischen zwischen den Olivenhainen, die den Garten des Panteleimonas mit seinen Zitrusbäumen in grünen und silbernen Farben umschließen. Nach Norden, Osten und Westen bildet das mächtige Taygetos-Gebirge ein natürliches Amphitheater, dessen Stufen und Ränge sich den Darbietungen des doppelten Blaus zuwenden. Auch von Theonis Haus aus können wir die Licht- und Farbenspiele von Himmel und Meer bewundern.
Lee leiht uns Möbel. So können wir das Haus zwar mit dem Nötigsten einrichten, noch improvisierend, denn bevor wir hier leben und arbeiten können, muss es von Grund auf renoviert werden. Wir entschimmeln und grundieren alle Wände. Ein von Lee empfohlener Handwerker bricht die moderige Küche im Parterre ab und ab Montag stellen Utas Bruder Michel mit seiner Frau Marika zwei Trockenbauwände auf. Und eines Abends haben unsichtbare Hände die Müllberge vor dem Haus entfernt.
Das Bauen am Haus lässt Zwischenräume zum Schwimmen im nahen Meer und für das Wiedersehen mit Freunden. So sitzen wir am Sonntag für fünf Stunden mit unserem Nachbarn David Friedman auf dem Balkon über den Oliven, essen, trinken und reden, denn wir haben uns fast 19 Monate nicht gesehen. Eine erste Routine beginnt sich zu etablieren: Jeden Morgen wandere ich mit Coco hinunter an den Strand, um am öffentlichen Brunnen Wasser zu holen.
Rígklia, Messinías, Dytiki Máni, Elláda
Die dritte Woche unserer Reise: Donnerstag, 28. Oktober bis Mittwoch, 03. November 2021
Heute leuchtet der Himmel wieder in sonnenbeschienenem Blau! Gestern noch schien die rote Erde unter Regenfluten zu durchweichen und zumindest in Teilen im Meer zu versinken. Wir haben in Kalamata Holz und andere Baustoffe besorgt. Auf dem Hinweg konnte Uta für 30 Minuten nur noch im Schrittempo fahren, da sich auf den Gebirgspässen zwischen den Buchten dunkle Wolkenkissen eingenistet hatten. Ein dichter Nebel, wie wir ihn aus dem herbstlichen Oberbayern kennen, umschloss alles und jedes. Auf dem Rückweg dann erschien uns das gleiche Land klar und regenfrisch. Von den Bergen waren ockrige Ströme in die Meeresbuchten geflossen, die weit hinausgreifende rot-braune Teppiche bildeten, deren Ränder sich ins dunkle Petrol der stürmenden See hineinwuschen.
Während Uta weiter an den Grundierungen im Parterre werkelt, verputze ich die aufgeschlagenen Wände des früheren Badezimmers, das wir bald als Abstellkammer nutzen werden. Die Woche vergeht wieder unter Renovierungsarbeiten. Am Samstag lege ich einen Bürotag ein, schreibe Anträge für die Finanzierung von Projekten, die wir im nächsten Jahr in Deutschland und Schottland durchführen möchten. Unvermittelt steht David mit seinem Hund Sophia in der Tür und überbringt Telefonnummern von Handwerkern, die uns helfen könnten. Als wir am Sonntag Stuart und Valerie besuchen, unsere ältestem Bekannten auf der Mani, versorgen uns die beiden mit weiteren Namen und Kontaktdaten. Am Montag kommen die Pakete an, die wir in Deutschland aufgegeben haben; Bettwäsche, Malgründe, usw..
Die Olivenernte hat begonnen. Im weiten Umkreis wird gesägt und gepflückt, vor der Ölmühle herrscht reger Betrieb. Wenn am Abend dann die Stimmen der Bauern verstummt sind, beherrschen die Grillen die Bucht, unterbrochen vom Bellen der Hunde, dem vereinzelten Blöken der Rinder, die in den Olivenhainen weiden und dem Singen der Schakale, das von den Berghängen zu uns herunterschallt.
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