Agriakona 1

Agriakóna in Káto-Rígklia, Messinías, Dytikí Máni, Elláda

 

 

Die erste Woche: Freitag, 07. bis Freitag, 14. Oktober 2022

 

 

Noch hat sich der Blickwinkel nicht umgestellt. Grob gesprochen: wir tragen den Bauchladen noch immer vor uns her.

Die Reise von Oberhausen im bayerischen Voralpenland bis in die Máni, den zweiten Finger der Peloponnes, begann am frühen Morgen des fünften Oktobers. Um ein Uhr trommelten die Wecker; um zwei Uhr verließen wir das Dorf wieder im bewährten Raumwunder-Kraftfahrzeug. Dieses Mal gab ich den Koffer auf meinen Knien nicht beim nächsten Postamt auf. Es war noch zu früh am Morgen. Kurz nach drei Uhr passierten wir die österreichische Grenze, um vier Uhr kamen die Lichter von Vipiteno in Sicht – gegen Acht erreichten wir den Fährhafen von Venezia.

Als das Schiff nach der Mittagswende endlich an den Türmen der Serenissima vorüber in Richtung Süd-Osten glitt, lasen wir noch kurze Kazantzakis-Texte und schliefen dann für die Dauer vieler Stunden ein. Die Anstrengungen der zurückliegenden Wochen forderten ihren Preis. Der nächste Morgen, unter blauem Himmel, auf ruhiger See, eröffnete dann Ausblicke auf Freundesland: die weiße Stadt Ostuni, dann Brindisi, kurz: Puglia, das Land, in dem einige Künstler*innen unserer paneuropäischen Vereinigung ARTISTS IN MASKS ihrer schöpferischen Arbeit nachgehen. Gegen 11 Uhr dann ließ das gut 30 Jahre alte japanische Fährschiff den italienischen Stiefelabsatz hinter sich, kreuzte die Ionische See in Richtung Korfu, folgte dann dem Küstenverlauf und erreichte nach Mitternacht den Hafen von Pàtra auf der Peloponnes.

Nun finden wir uns auf griechischem Boden wieder. Kurzer erholsamer Schlaf im zweckmäßigen Hotelzimmer, griechisches Frühstück unter Muttersprachlern – und ja, wir verstehen einige Worte und Phrasen, fühlen uns wohl. Die sonnenverwöhnende Fahrt über Olympía und Kalamáta beweist wieder, dass es in Griechenland nur drei Jahreszeiten gibt: Frühling, Sommer und Winter. Schweigen dann nach dem Überqueren des letzten Passes auf den Kehren hinunter ins homerische Kardamíli, hinüber zur Frankensiedlung Stoúpa und vorbei am Hafen von Ágios Nikólaos. Weinend erreichen wir das lavendelgeschmückte Grab unserer alten Freundin, hier in Agriakóna, dem Stück Land, das uns gehört.

Seitdem fliegen die Tage dahin, gefüllt von freudigen Begegnungen mit Freunden und Bekannten, die hier leben – aber auch von zeitfordernden Renovierungsarbeiten in Haus und Garten. Wind, Wetter und Sommergäste haben Spuren hinterlassen. Dann schmücken wir die Wände mit Kunstwerken, die uns Freunde geschenkt haben: Ramiz Aghayev aus Aserbaidschan, Otie van Vloten aus den Niederlanden, Giovanni de Simone und Carlo Tarani aus Italien, Erwin Heyn, Eric Schaftlein und Jürgen Schilling aus Frankreich, Bernhard Kölbl, Helga Kölbl und Ulissa aus Deutschland.

Am Samstag besuchen wir einen Hund, der seit zwei Jahren von einem griechischen Tierschutzverein betreut wird. Bereits vor Wochen haben wir erste Bilder und Berichte über „Flocke/Nifáda“ erhalten und heißen das zarte Wesen heute in unserem Rudel willkommen.

Am Sonntag bauen wir in Kardamíli die erste Ausstellung unserer mitgebrachten Kunstwerke auf, eröffnen sie feierlich, natürlich gemeinsam mit Flocke. Am Donnerstag-Abend lese ich in Stoupa vor einem deutschen Publikum aus meinem aktuellen Buch – ein Bestandteil des hier in mehreren Sprachen veranstalteten Literaturfestivals „Mani-Lit-Fest“.

Der Blickwinkel wird sich schrittweise verändern. Schon treten wir nicht mehr ausschließlich als Gastgeber und Produzenten auf; wandern morgens schon zum Schwimmen hinunter ans Meer und haben heute Bámpis, dem fahrenden Fischhändler Tintenfisch und Tsipoúra abgekauft!

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