Mani 6

Káto-Rígklia, Dytikí Máni, Elláda

 

Die fünfte Woche: Donnerstag, 28. Dezember 2023 bis Mittwoch, 03. Januar 2024

 

Zu den ersten Worten, die uns Fremde wie Einheimische in Griechenland beigebracht haben, gehören „ζυγά, ζυγά“ („sogar, sogar“ im Sinne von „langsam, langsam“) und „ίσως αύριο“ („vielleicht morgen“). Ihre Bemerkung, die Bedeutung dieser Worte sei bezeichnend für Vieles, was man mit den Menschen in diesem schönen Land erleben kann, erschien uns lange Zeit floskelhaft und auf charmant-folkloristische Weise übertrieben. Heute würde ich trocken zugeben: da ist was dran. Ohne das Hören, Denken oder Aussprechen dieser bedeutenden Halbsätze vergeht kein Tag; das trifft auch auf die zurückliegende Woche zu.

Als die geflügelten Worte am Donnerstagmorgen über Agíms Lippen huschten, entschlossen wir uns kurzerhand, keinen weiteren Tag auf die versprochene Lieferung der Fliesen zu warten, sondern sie selbst beim Händler in Kalámata abzuholen. Gegen drei Uhr am Nachmittag waren wir zurück und Agím konnte den Badezimmerboden fertig verlegen.

Auch am Freitag setzte ich mich kühn über die bei einigen unserer Nachbarn zur Lebensphilosophie avancierten Wendungen hinweg. Als sich während des morgendlichen Spaziergangs mit Flocke abzeichnete, dass von uns an jedem dritten Gartenzaun ein ausgiebiges Pläuschchen erwartet wird, nahm ich mich schrittweise zurück, versank schließlich in völligem Schweigen und rettete auf diese Weise die fünf restlichen Sonnenstunden des Tages. Bis zum fulminanten Sonnenuntergang stand ich fortan vor der Staffelei.

Der Samstag sah mich nahezu ausschließlich im Garten Steine schleppen, denn es wurde vermeldet, dass heute noch oder „ίσως αύριο“ der Baggerfahrer erscheinen wird, um das immense Loch auszuheben, in das unsere neue Sickergrube eingebaut werden soll. Der Garten des Panteleímonas gleicht seitdem einem von Wildschweinen frisch umgegrabenen Feld, denn ich habe alle Wege und Umfriedungen aus ihm entfernt … natürlich unter strenger Beachtung einer gewissen Bedächtigkeit.

Am Sonntag war bald klar, dass der Baggerfahrer nicht kommen würde. Trotzdem setzten wir die Vorbereitungen für seinen Einsatz fort, denn man kennt nicht Tag noch Stunde … . Agím gelang derweilen unter beständigem Fluchen, die Dusche wieder in Gang zu bringen und die Mischbatterie am Waschbecken so weit zu fixieren, dass sie beim Bedienen nicht herunterfällt. Kaltes Wasser passiert das stählerne Labyrinth nun nach Belieben, warme Flüssigkeiten nur „ζυγά, ζυγά“. Über alle Arbeiten verging der letzte Tag des Jahres wie im Fluge. Zu guter Letzt konnte ich auch das Seegarten-Gemälde fertigstellen – Uta hat es heute mit Nemos Hilfe professionell fotografiert, damit ich es auf meine Website stellen kann. Als ich abends am Schreibtisch sitzend wahrnahm, dass Uta in ihrem Atelier damit begonnen hatte, Musikvideos anzuschauen, verschob ich die Emails, die ich noch versenden wollte, kurzerhand auf das nächste Jahr. Den Silvesterabend verbrachten wir dann in der Gesellschaft von Jim Morrison, Elvis Presley, Carl Perkins und George Harrison.

Um den Baggerfahrer empfangen zu können, blieb ich am Montagvormittag im Haus, strich Regale, schrieb eine Bewerbung um Förderung für ein Kunstprojekt, installierte Chromhalterungen und weihte schließlich feierlich die Dusche ein. Sauber und frohgemut ging es dann mit Flocke und Uta am späten Nachmittag an den Strand, wo Uta das neue Jahr im Meer begrüßte. Bald kam Holly dazu, schwamm auch einige Runden und setzte sich zu uns, Nemo und unserer Freundin Maureen, die den Fluten ebenfalls gerade entstiegen war. Gemeinsam genossen wir den ersten Sonnenuntergang des Jahres. Am Abend versanken Uta und ich in einem Kochrausch; zum Schreiben blieb leider keine Zeit mehr – „ίσως αύριο“.

Gestern rief Agím recht früh an, um mitzuteilen, der Baggerfahrer werde wohl nicht kommen. Deshalb transportierte uns Uta schon morgens nach Kardamíli, um diverse Kleineisen zu erstehen, die ich zum Stabilisieren der Mischbatterie benötige. Der Tag verflog wieder einmal über unzählige kleine Arbeiten im Haus bis wir am Abend unsere Malerfreundin Ulissa in Stoúpa begrüßen konnten – sie war bereits mittags mit dem Flugzeug in Αthína gelandet. In Àgos Nikólaos feierten wir das frohe Wiedersehen schließlich gemeinsam mit Holly und Nemo bei Mezé und rotem Wein.

Gegen Mitternacht wurde Flocke unruhig. Ein Rudel Schakale umstreifte den Garten des Panteleímonas und zog erst lauthals heulend weiter, als unser Hund heldenmutig aus dem Haus sprang. Wenn der Baggerfahrer doch eines Tages kommen sollte, werden wir den Zaun öffnen müssen, der die Gefilde vor wilden Tieren schützt; aber: „ζυγά, ζυγά“.

Nachdem sich die Sonne gestern versteckt hatte, erwachten wir heute wieder unter einem blauen Himmel. Obwohl das Thermometer nur milde 14 Grad anzeigt, sitze ich im wohlig aufgeheizten Glasatelier und blicke hinüber zu den all umher versammelten Olivenbäumen: Tanzende, die scheinbar in eingefrorenen Bewegungen verharren und sich dennoch ständig bewegen, langsam, langsam, sehr langsam.

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